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Der gute Bruder Ulrich. Märchen-Trilogie

Belletristik

Marlen Haushofer

Der gute Bruder Ulrich. Märchen-Trilogie

Mit einem Nachwort von Markus Bundi

Eine Wiederentdeckung im Marlen-Haushofer-Jubiläumsjahr 2020 (50. Todestag am 21. März, 100. Geburtstag am 11. April): Zwei Jahre nach Marlen Haushofers Tod erschienen die drei Märchen "Das Waldmädchen", "Das Nixenkind" und "Der gute Bruder Ulrich" in einer kleinen Reihe für Kinderliteratur, wurden kaum wahrgenommen und bald vergessen. Von Haushofers Wiederentdeckung in den 1980er-Jahren blieben die Märchen unberührt – und können hier endlich zugänglich gemacht werden.

Verlagstexte

Vom Duktus her an die Grimm'schen Märchen angelehnt, reizt Haushofer das Genre aus: In den Märchen um das Waldmädchen, das Königin wird, ein lange kinderloses Müllerpaar, das ein Nixenkind aufzieht, und ein ungleiches Paar von Ziehbrüdern gibt es keine Schätze, keine Rätsel, keine Drachen und Ritter. Das Wunderbare wird den Menschen als Geschenk zuteil, Hoffnung und Versprechen sind ein reines Produkt der menschlichen Einbildungskraft.

Markus Bundi hat schon in seinem Haushofer-Essay Begründung eines Sprachraums (Limbus 2019) auf die Märchen Bezug genommen; hier fungiert er als Herausgeber und fügt dieses vergessene Triptychon in Haushofers Werk, aber auch in die Märchengattung ein.

Markus Bundi, geboren 1969 in Wettingen, aufgewachsen in Nussbaumen bei Baden. Studierte Philosophie, Neue Deutsche Literatur und Linguistik an der Universität Zürich; unterrichtet derzeit an der Alten Kantonsschule Aarau. Veröffentlicht seit 2001 literarische Texte, ist Herausgeber der reihe (Wolfbach Verlag). Zuletzt erschien bei Limbus sein Essay Begründung eines Sprachraums. Zum Werk Marlen Haushofers (2019) sowie im Septime Verlag die Erzählung Der Junge, der den Hauptbahnhof Zürich in die Luft sprengte (2020).

Downloads

© Cover: Verlag, Foto(s): Sybille Haushofer

Presse- und Autorenstimmen

In ihren Märchen spiegelt uns Marlen Haushofer die Kraft unserer Wünsche. Und erinnert uns daran, dass Wünschen schon so manches Mal geholfen hat.

(

Brigitte Neumann, Publik Forum

)

Textprobe(n)

Das Waldmädchen hatte braune Locken und grüne Augen und war so rank gewachsen wie eine junge Birke. Es wohnte allein in einem kleinen Häuschen mitten im Wald und hatte weder Vater noch Mutter.

Einen einzigen Verwandten besaß es, und das war der Räuber Schlagetot. Der kam jeden Winter in das kleine Häuschen und blieb dort, bis es Frühling wurde.

Und das Mädchen freute sich das ganze Jahr hindurch auf diesen Besuch, denn der alte Schlagetot war der einzige Mensch, den es kannte.

Wenn er dann vor dem flackernden Feuer saß und behaglich seine langen Beine ausstreckte, bat ihn das Mädchen oft, von seinen Abenteuern zu erzählen, und er ließ sich nicht zweimal bitten. Wer wollte es ihm übelnehmen, wenn er dabei ein bißchen log und seine großen und kleinen Räuberstückchen so lange ausschmückte, bis sie dem staunenden Kinde wie Heldentaten erschienen. Dann klatschte es fröhlich in die Hände, und der Räuber schmunzelte behaglich und tat einen tiefen Schluck aus dem Metkrug.

Einmal bat das Mädchen: „Erzähl mir von den Menschen, lieber Schlagetot, ich möchte sie so gerne kennenlernen!“

„Sie sind nicht der Rede wert“, brummte der Alte, „aber ich werde dir einen Wolf fangen, der soll dir die Zeit vertreiben.“

So lebten sie glücklich den ganzen Winter zusammen. Wenn aber der Schnee taute und es vom Dach zu tropfen begann und die Luft lau von den Bergen strich, wurde der Räuber unruhig.

Witternd hob er die Nase und sagte: „Es riecht nach Rauch und Hunden, ich muß mich auf die Beine machen.“

Und er schliff sein breites Messer, bis es in der Sonne funkelte, und steckte es in den Gürtel.

Das Mädchen aber zupfte traurig Moos und Heu aus seines Freundes Bart und seufzte, denn nun lag wieder ein langer einsamer Sommer vor ihm.

Aber der alte Schlagetot hielt Wort und brachte den versprochenen Wolf. Der kam auf leisen Sohlen gegangen, legte seine Nase auf die Knie des Waldmädchens und knurrte dreimal, und das sollte heißen:

„Ich bin der Grauwolf und habe die spitzesten Zähne im ganzen Wald. Wer dich anfaßt, den reiße ich in Stücke!“

Dabei riß er wild den Rachen auf, so daß man seine lange, feuerrote Zunge sehen konnte.

Da strich ihm das Mädchen beruhigend über das Nackenhaar und freute sich über das Geschenk des Räubers.

Aber das war nicht der einzige Freund, den es hatte.

Der Igel, der mit Frau und Kindern im Blätterhaus wohnte, kam jeden Morgen und schaute mit seinen listigen schwarzen Augen in die Hütte, und wenn ihm das Mädchen zunickte, trollte er sich zufrieden weiter. Manchmal schnürte auch der Fuchs vorüber und warf einen Blick durch die offene Tür.

Und Tag und Nacht murmelte die Quelle unter den Haselstauden, und die hochstämmigen Fichten sandten ihren harzigen Duft durch das kleine Fensterchen.

So schön war es im Wald.

Der gute Bruder Ulrich. Märchen-Trilogie
Erzählung(en)
ALS BUCH:
Hardcover

mit Lesebändchen

64 Seiten
Format: 115 x 185 mm
Auslieferung: ab 1. März 2020
D: 12,00 Euro A: 12,00 Euro CH: 15,00 CHF

ISBN (Print) 978-3-99039-165-5

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