Belletristik
Alfonsina Storni
Cardo
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Hildegard E. Keller. Mit Geleitwort von Denise Tonella.
1916 stellt sich Alfonsina Storni der Öffentlichkeit als Autorin mit einem Porträt ihrer Stupsnase vor. Schräger Humor ist lebensnotwendig, wenn man die einzige Frau unter öffentlichen Intellektuellen und Literaten ist. Interviews und Reportagen aus den Zwanzigerjahren zeigen sie als Star, den man keineswegs vergessen hatte, als sie sich 1938 das Leben nahm.
Andere Titel des Verlags bzw. der Autorin/des Autors
Verlagstexte
Cardo ist der dritte Band der Werkausgabe, übersetzt und herausgegeben von Hildegard E. Keller. Sie ermöglicht einen neuen Blick auf das Werk der aus dem Tessin stammenden Argentinierin Alfonsina Storni (1892–1938). Cardo enthält Briefe, Interviews, Autobiografisches, Nachrufe, Erinnerungen von Weggefährtinnen.
Zur Werksausgabe von Alfonsina Storni:
Wie findet man einen Platz im Leben? Alfonsina Storni sah sich als «moderne Frau» und ging ihren Weg als Künstlerin: Hildegard E. Keller legt Stornis Werk als Journalistin, Erzählerin, Theaterautorin und Lyrikerin nun erstmals in seiner ganzen Breite auf Deutsch vor. Die vier Bände der Werkausgabe sind farbig illustriert und – wie damals in Buenos Aires – mit Kochrezepten. Alfonsina ist eine Entdeckung, finden auch Elke Heidenreich und Pedro Lenz.
Presse- und Autorenstimmen
Spätestens nach ein paar Seiten wird den Leserinnen und Lesern bewusst, ein großartiges Werk in den Händen zu halten.
(Denise Tonella in ihrem Geleitwort
)Was für ein außerordentlicher Kopf – und nicht im Geringsten unansehnlich! Silbernes Haar rahmte das Gesicht, das so frisch aussah wie das einer Fünfundzwanzigjährigen. Nie habe ich schöneres Haar gesehen. Wie Mondlicht am hellen Tag. In den weißen Wellen war noch ein blonder Liebreiz zu sehen. Die blauen Augen, die Stupsnase, französisch und sehr niedlich, und der rosa Teint geben ihr etwas Kindliches. Dieser Eindruck löst sich im Gespräch mit dieser scharfsinnigen, gereiften Frau bald auf. Sie ist von kleiner Gestalt, sehr beweglich und sprüht vor Intelligenz, ganz ohne Übertreibung.
Gabriela Mistral über Alfonsina Storni, Cardo.
)Textprobe(n)
Von klein auf haben mich zwei Dinge verfolgt: meine Nase und das Wort "Mäßigung".
Meine Nase ist von ausgefallener Schönheit, wie ein Fanfarenstoß um Mitternacht. Auf der Höhe der Augen ist eine Vertiefung, aus der heraus die Nase Anlauf nimmt, um plötzlich hervorzuspringen. Sie ist die Vorbotin meines Fürwitzes, steil zum Himmel gerichtet und so verwegen, dass sich gewisse Leute darauf versteift haben, in ihr den Grundzug meiner Psyche erkennen zu wollen. Die weit offenen Nasenlöcher kündigen stets Überraschung an, während die recht fleischigen Ringmuskeln der Nase eine Robustheit verleihen, die zwischen Ironie und Ernst changiert.
Was ist zum Wort "Mäßigung" zu sagen? Davon kann ich ein Lied singen, und das will was heißen. Mein Gedächtnis ist nämlich nicht das Allerbeste, denn ich habe ihm nie viel Gastfreundschaft entgegengebracht.
Zum ersten Mal hörte ich das Wort "Mäßigung" mit fünf Jahren, als ich im Schulvorbereitungskurs von San Juan alles kurz und klein schlug: "Mädchen sollten sich mäßigen", sagte eine tiefe Stimme. Das war ungefähr 1897.
Später hörte ich bei uns zu Hause oft Kommentare über die Einfälle der "Zikade". Das war mein Spitzname. Unter Verwandten und Bekannten pflegte meine Mutter auszurufen: "Wenn ich nur die Nerven hätte, Alfonsina immer wieder zu ermahnen, sie solle sich mäßigen!"
Als ich mit zwölf Jahren meine ersten Verse schmiedete, sprach meine Mutter das Wort "Mäßigung" strenger und eindringlicher denn je aus und hielt dazu eine Predigt. Aber um das verweinte Gesicht der "Poetin", die nervös ein paar brandstifterische Vierzeiler zwischen den Fingern zerknüllte, scherte sie sich nicht im Geringsten.
Etwas später, nach dem Niedergang meiner einst wohlsituierten Familie, zwackte ich während der Arbeit ein paar Minuten für die Lektüre ab. Ich las das Erstbeste, was ich in die Hände bekam. Auch damals sagte eine Stimme, kälter und rauer als die meiner Mutter, das sattsam bekannte Wort "Mäßigung!".
Wenig später rief man mir das Wort erneut in Erinnerung. Damals besuchte ich das Lehrerinnenseminar in Coronda: "Sie schreiben ja wie eine Dreißigjährige! Es stünde Ihnen gut an, sich ein wenig zu mäßigen."
So sprach die Direktorin, Fräulein Maria M. Gervassoni, zu mir. Und hier in Buenos Aires, wo ich nun der Abteilung für Geschäftspsychologie vorstehe, war das Wort ebenfalls öfter zu hören. Ein wohlwollender Vorgesetzter sagte zu mir: "Sie verlieren zu viel Zeit mit dem Schreiben und Rezitieren von Gedichten. Das gehört sich nicht, Sie sollten sich mäßigen."
Und als ich vor kurzem mein Buch Die Unruhe des Rosenstocks veröffentlichte, sagte man mir mit gewichtiger Stimme: "Es ist nur zu Ihrem eigenen Wohl, wenn ich Ihnen rate, Sie sollten sich mäßigen bezüglich ihrer Gedichte und dem, was Sie darin ausdrücken. Mit einigen haben Sie sich geschadet."
Da habe ich mir den Zeigfinger an die Stirn gelegt, ungefähr zweieinhalb Zentimeter unterhalb des Haaransatzes, dachte tief nach und sagte dann zu mir selbst: "Ach so!"
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ALS BUCH:
Hardcover
304 SeitenZweifarbiger Druck, mit ca. 20 Farbillustrationen und Rezepten.
Format: 120 x 175 mm
Auslieferung: ab 17. August 2021
D: 29,00 Euro A: 29,80 Euro CH: 31,80 CHF
ISBN (Print) 978-3-907248-07-2
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Die Autorin bzw. der Autor im Netz:
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Der Verlag im Netz:
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Hildegard Keller
+41 (0)44 3822153
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