Belletristik
Kaspar Schnetzler
Glocken und Kanonen
Konrad von Einsiedeln – in Zürich Ungrad, in Sevilla Don Corrado de Fuseli genannt. Eine Geschichte um die Geschichte der Familie Füssli, Stuck- und Glockengießer in Zürich, die da spielt in den Jahren 1548 bis 1589.
Andere Titel des Verlags bzw. der Autorin/des Autors
- Alberts Verlust
- Amazonia
- Beach Café
- Black Whidah
- Blanchefleur
- Der Eiskönig aus dem Bleniotal
- Der Innerschweizer
- Der Sommer im Garten meiner Mutter
- Der Traum des Walnussbaums
- Gommer Winter
- Heroïne
- Jenische Reise
- Lamento - Brief an den Vater
- Notre-Dame-de-la-Merci
- Schnitz
- Tanger Telegramm
- The Nice
- Vesoul, 7. Januar 2015
- Viva
- Zigeuner
Verlagstexte
Glocken und Kanonen ist ein opulenter Roman über Aufstieg und Fall von Menschen und Dynastien – spannend erzählt, wie man es sich von einem historischen Roman erhofft, aber weit reicher an Dimensionen, Perspektiven und Feinheiten als in diesem Genre üblich.
Die Klosterköchin Lene ist von Peter Füssli schwanger. Um einem Skandal vorzubeugen, versetzt der Abt sie ins Frauenkloster Münsterlingen am Bodensee. Im Frühling 1549 kommt Konrad zur Welt. Die Auseinandersetzungen zwischen den altgläubigen und den neugläubigen Orten bringen die Eidgenossenschaft an den Rand der Auflösung. Konrad verabschiedet sich von der Mutter und Einsiedeln, um in Zürich Anstellung bei der Stuck- und Glockengießerei Füssli zu finden. Da wird ihm der Name Ungrad angehängt. Sein geniales Schaffen bringt dem Unternehmen großen Erfolg, dem Haushalt Füssli ein Problem. Ungrad verabschiedet sich von Zürich nach Sevilla, um eine Geschäftsbeziehung zwischen Füssli und der spanischen Gießerei Balabarca einzurichten. Am 28. Mai 1588 läuft die spanische Armada von Lissabon zur Invasion Englands aus.
Textprobe(n)
"Alles mein! Alles mein – und vorbei! Ich mag nicht mehr, ich kann nicht mehr!" Peter Füssli schrie in die Sonntagsstille hinaus und keiner hörte ihn. Allein sass er, draussen bei der Steinmühle, auf der Kanzel, die die zahme Sihl teilte.
Am Sonntagmorgen traute sich keiner vor die Stadt. Sie sassen alle drinnen im St. Peter unter der Kanzel und hörten auf ihren neugläubigen Pfarrer, der in der lückenlosen Reihe der mit dem grossen Reformator befreundeten oder verschwägerten Nachfolger an St. Peter stand. Er war wie alle ein treuer Nachbeter Zwinglis unselig insofern, als er den Gläubigen die Freude am Leben und der Welt verdarb. Ob der Herrgott die Predigt dieses Hetzers oder den Notruf eines Altgläubigen vernahm – wer konnte das wissen? Der Dritte Peter hoffte auf seinen Herrn, weil er als einziger Füssli noch altgläubig zu Ihm betete.
Nur machte ihm der Schmerz den Glauben schwer. Ans Hinken hatte er sich im Laufe der Jahre gewöhnt, es war ihm angeboren, aber der Schmerz in der Hüfte bei Föhnwetter war schier unerträglich. Eine Höllenqual. Den Weg zum St. Peter hinauf hätte er heute jedenfalls nicht geschafft. Ein Wunder, dass er die paar Schritte vom Glockenhaus hierher hatte humpeln können, aber er hatte rausgemusst. Die Einsamkeit plagte ihn nicht weniger als die Hüfte.
Die Busse für den verpassten Kirchenbesuch zahlte er gern. Sollten die Herren doch! Die zwanzig Schilling reuten ihn nicht, wenn er sich damit von der neugläubigen Predigt freikaufen konnte. Er fragte sich bloss, was die Herren Wasserprediger mit den zehn Litern Veltliner, die sie für das Bussgeld kaufen würden, im frommen Sinne hatten.
"Was sollst du dem Herrn Pfarrer sagen?" Er hatte den Enkel zu sich herausgerufen, die Haushälterin brauchte nicht zu wissen, dass er Marx vorschickte. Sie hätte es dem Knaben nie erlaubt, einem Herrn Pfarrer, dem strengen vom St. Peter schon gar nicht, anderes als die reine Wahrheit in seinen Veltliner boccale einzuschenken. Die Wahrheit war, er, der Dritte Peter Füssli, wollte den Gottesdienst des neugläubigen Pfarrers nicht besuchen.
"Dass den Herrn Grossvater die Kugel wieder teuflisch schmerzt, soll ich sagen, die seit Mariniano in seiner Hüfte steckt."
"Marin-jano, kleiner Wichtsack, nicht Marini-ano. Und wann war das – Anno?"
"Anjo fünfzehnhundertundfünfzehn – das sind", der Junge versuchte seine glatte Stirn in Falten zu legen, "das sind genau dreiunddreissig Jahre her."
"Exakt am 13. September, heute in zwei Tagen. Aber heute, was feiern wir heute? Was für einen Tag?"
Wie aus einer Kanone der Stuckgiesserei Füssli geschossen:
"Den Tag unserer Stadtheiligen Felix und Regula!"
"Braver Bub."
"Warum nicht auch Häxebränz, Herr Grossvater, dem haben die Römer doch auch den Kopf abgeschlagen?"
"Stimmt, aber der Mann hiess mit richtigem Namen Exuperantius, erstens, und er war bloss der Diener ..."
"Dann hätten sie ihm den Kopf gar nicht abschlagen müssen!"
"Merk dir eins, Junker Tausendschlau, man fällt dem Grossvater nicht ins Wort. Und dann kannst du dir Gedanken zum Leben und Sterben eines Dieners machen und dir dazu eine Antwort ausdenken. Nämlich auf die Frage: Was hat deinem Diener Häxebränz die Ehre verschafft, als Dritter in die Gesellschaft von Felix und Regula aufgenommen zu werden, und trotzdem immer vergessen wird, wenn von den Zürcher Stadtheiligen geredet wird?"
"Ich will’s versuchen, Herr Grossvater."
"Das ist gut." Er knüpfte dem Knaben den Beutel mit dem Bussgeld an den Gurt, als wären es dreissig Silberlinge, und drückte ihm einen Batzen in die Hand. "Der ist für den Botendienst, den brauchst du Jungfer Frieda nicht zu verraten."
Der Junge zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Das erheiterte ihn für einen Augenblick, dabei hätte er als Grossvater Unmut äussern müssen über die Unartigkeit des Enkels einer Erwachsenen gegenüber, auch über eine Haushälterin zwinkerte man nicht. Er konnte Marx nicht böse sein, er war ein schlaues Bürschchen, wie ein Füssli sein sollte, obwohl im Aussehen völlig aus der Art geschlagen. Ein rundes Mädchengesicht mit strahlend blauen Augen statt des schmalen knochigen Römerkopfs mit maronenbraunen Augen, nicht dunkle Haare wie Eisendrähte, sondern wellige blonde, von der Haushälterin zu einem kleinen Zopf gebunden – gegen seinen lautstarken Widerstand. Den brach sie mit ihrem lakonischen Bescheid:
"Das ist gut gegen Läuse."
"Nun mach dich auf die Socken!"
"Nicht Socken! Hat Herr Grossvater meine Bärentatzen nicht gesehen? Meine Schuhe sind ganz neu –."
"Darum so sauber. Jetzt aber lauf!"
Der Junge sprang davon, um nicht zu spät zum Gottesdienst zu kommen. Gerührt von der kindlichen Unschuld, hütete Peter sich, seine Bedenken laut werden zu lassen. Dem Jungen würde das Hüpfen schnell genug vergehen, wenn er sich einmal entscheiden musste, welchem Gott er unter den in Zürich herrschenden Umständen dienen sollte.
Marx verschwand um die Ecke der Giesshütte in die St. Anna Gasse, um das Bussgeld über den Fröschengraben, durch das Ketzistörchen, die Augustinergasse und den Rennweg hoch in die Kirche zu tragen.
Es war nicht die erste Busse, die Peter von den neugläubigen Hohen Herren, die über Recht und Glauben richteten, auferlegt erhielt.
-
Glocken und Kanonen
Roman / Novelle
-
ALS BUCH:
Hardcover
469 SeitenLesebändchen
Format: k. A.
Auslieferung: ab 15. Juni 2017
D: 28,00 Euro A: 28,00 Euro CH: 36,00 CHF
ISBN (Print) ISBN978-3-03762-064-9
-
Unter der Voraussetzung, dass Sie sich bei uns als professionelle(r) Nutzer(in) registriert haben, können Sie Ihr persönliches REZENSIONSEXEMPLAR durch einen Klick auf den Button „Download“ herunterladen.
DOWNLOAD
-
Die Autorin bzw. der Autor im Netz:
-
Der Verlag im Netz:
-
Pressekontakt des Verlages:
Ricco Bilger (Verleger)
+41 (0)44 2718146
bilger(at)bilgerverlag.ch
-
Vertriebskontakt des Verlages:
Ricco Bilger (Verleger)
+41 (0)44 2718146
bilger(at)bilgerverlag.ch
Artikelaktionen