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gravitationen 1

Belletristik

Keith Waldrop

gravitationen 1

ausgewählte gedichte (1968-1997)

Übersetzt von David Frühauf, Tim Holland, Jan Kuhlbrodt, Swantje Lichtenstein, Peggy Neidel und Barbara Tax

Zum ersten Mal erscheinen Gedichte aus allen Schaffensperioden des amerikanischen Dichters Keith Waldrop in deutscher Übersetzung, gravitationen 1 gehört zudem zu den Lyrikempfehlungen 2018. Eine Dichtung, die die Grenze der Gattung weit überschreitet.

Verlagstexte

"Disappearing, you / complete the night" /  "verschwindend, du / vollbringe die nacht"

Die beiden Bände gravitationen 1 + 2 (Teil 2 erscheint am 1. September 2018) versammeln zum ersten Mal Gedichte aus allen Schaffensperioden (1968-2009) des amerikanischen Dichters Keith Waldrop in deutscher Übersetzung. gravitationen 1 wurde von der Akademie für Sprache und Dichtung, der Stiftung Lyrik-Kabinett und dem Haus für Poesie ausgezeichnet und gehört zu den Lyrikempfehlungen 2018.

Nachvollziehbar werden dabei die motivischen Bewegungen seiner Dichtung und die Einflüsse aus seiner Übersetzertätigkeit sowie seiner philosophisch-theologischen Lektüren, die den Dichter immer wieder zu formalen Experimenten treiben und dazu, die Grenzen der Gattung zu überschreiten. Dies spiegelt sich auch in der Verwendung der Collage-Technik wider, die der Dichter ebenso als bildender Künstler verfolgt. In der Grenzüberschreitung als ›Übertritt‹ lässt sich etwas vermuten, das sich im Werk Keith Waldrops als wiederkehrendes Element fortlaufend neu formiert, um sich dann wieder aufzulösen, ähnlich den Wellen im Wasser: "Wir sind nur Wellen, wir wissen nichts vom Wasser", schreibt er in dem 1997 erschienenen Buch The Silhouette of The Bridge (Memory Stand-Ins) und beruft sich auch darin auf ein Ineinanderüberfließen von loser, in ihrer Form haltloser Substanz.

Der Großteil der Arbeiten Keith Waldrops enthält Elemente der Collage, und darin scheint er all das aufzugreifen, das sich um ihn sammelt, im Bestreben es neu zusammenzusetzen, den Dingen in ihrer neuen Konstellation eine andere Struktur zu verleihen. Inspiriert von der Arbeitsweise Max Ernsts, der alte Bilder rekombiniert und chimärische Figuren und Ereignisse kreiert, und Kurt Schwitters', in dessen Collagen die von ihm versammelten Ablagerungen den Rahmen nahezu vollständig ausfüllen, bewegt sich der Dichter künstlerisch damit in einem Bereich dazwischen. Dabei möchte er so uneingeschränkt und grenzenlos wie möglich bleiben: "Ich besitze keinen Himmel. Manchmal erscheint der Boden unbedeutend. Aber Komposition bleibt eine Freude", schreibt er in seinem Essay Eine Frage der Collage.

Der deutsche Schriftsteller Nico Bleutge findet schöne Worte für die Poetik des Autors, in dessen "Gedichten, in den[en] sich Denken und Atmosphäre manchmal ganz und gar durchdringen" das Gehaltvolle in dem Aufeinandertreffen von Fragen und Widersprüchen auszumachen ist, wie es die folgenden Zeilen aus dem Buch the garden of effort (1975), die sich auch in gravitationen 1 wiederfinden lassen, nicht deutlicher ausdrücken könnten: "Ich erinnere mich / an alles und / nichts stimmt."

Die Wahrheit als etwas uneinheitlich Begreifbares wagt den Versuch ihres Ausdrucks bloß in dem Nebeneinander- und Übereinanderschichten subjektiv erfahrbarer Wirklichkeiten, die durch die Technik des Collagierens ersichtlich und bedeutungsreich werden.

Initial für die Arbeit war Elke Erb, die Jan Kuhlbrodt eine Reihe von Keith Waldrops Büchern überließ, aus denen sich die Notwendigkeit einer deutschen Ausgabe als Aufgabe geradezu ergab. Mit David Frühauf fand er einen idealen Projektpartner, der dann nach Providence reiste, um Kontakt zum Autor aufzunehmen, während Jan Kuhlbrodt ein Team von Übersetzern zusammenstellte. Dieses rekrutierte sich, neben den Herausgebern selbst, aus der jungen Generation von Lyrikern: Swantje Lichtenstein, Peggy Neidel, Barbara Tax, und Tim Holland. Ferner erfolgte die Auswahl der Gedichte in enger Zusammenarbeit mit Ben Lerner, ebenfalls ein Wegbereiter und Kenner des Projekts.

Mit dem Einzelband The Silhouette of The Bridge (Memory Stand-Ins) wird im kommenden Jahr die Waldrop-Reihe im gutleut verlag fortgesetzt.

reihe staben [band 11]

Downloads

© Cover, Plakatumschlag: Verlag, Foto(s): Connie Grosch

Presse- und Autorenstimmen

Keith Waldrop verknüpft alles miteinander. Und das Bindeglied seiner Verknüpfungen ist Zweifel. Dennoch entstehen nicht nur schöne und kluge, sondern zusätzlich positive Gedichte, solche die zum eigenen Denken ermuntern.

(

Elke Engelhardt, fixpoetry.com

)

Video

Textprobe(n)

Hat ful of Flood

 

1
Outside the calendar,
werewolves and other
danger spots.
Almost everybody, you
know, is dead.
Teeth, nails and
hair – what a moving
landscape.
Two segments of
horizon, haggling
over a birthday.

 

2
Am I a prisoner?
Pumpkins, by
gouging, given
eyes, nose, grin.

Remember me only
by what I’ve
said in my sleep.
Corridors and boxes, swell
of little cells.
Empty? Filled?
Time. The fatness
of time.

 

3
A face at the
window and I forget
I’m indoors.
Their language, in
so many senses.
I, a region
of you, a
region of me.

Our system unstable –
evidence
in time.
Enormous eyes of
Christians or
decadent pagans.
Some things I’ve
seen through and
vice versa.
Wor th everything
but not necessarily
wor th while.
In different
groupings, an
instant, as if it
were an instant.
Not bodies, but
"entities
carefully abstracted."

The unlived like is
not wor th examining.
[…]

 

 

Ein Hut voll Flut

 

1
Werwölfe und andere
Gefahrenpunkte
außerhalb des Kalenders.
Fast jeder, weißt Du,
ist tot.
Zähne, Nägel und
Haare – was für eine bewegende
Landschaft.
Zwei Abschnitte
Horizont, die sich feilschen
um einen Geburtstag.

 

2
Bin ich gefangen?
Kürbisse, wenn ausgehöhlt,
bekommen Augen, eine
Nase, ein Grinsen.

Nur bei dem, was ich im Schlaf
gesagt habe, sollst Du Dich an
mich erinnern.
Korridore, Schachteln, Anschwellen
kleiner Zellen.
Leer? Gefüllt?
Zeit. Das Fette
der Zeit.

 

3
Ein Gesicht am
Fenster, und ich vergesse,
dass ich drinnen bin.
Ihre Sprache, in
so vielerlei Hinsicht.
Ich, ein Teil
Du,
ein Teil, mein.

Unser System instabil
– den Beweis
liefer t die Zeit.
Riesige Augen von
Christen oder
dekadenten Heiden.
Einige Dinge, die ich
durchschaut habe,
und vice versa.
Alles wert,
aber nicht unbedingt
der Mühe wer t.
Ein Augenblick
in unterschiedlichen
Anordnungen, als ob es ein
Augenblick wäre.
Keine Körper, sondern
"vorsichtig
abstrahierte Gebilde."

Das ungelebte Wie ist es
nicht wert, untersucht zu werden.
[…]

 

 

Antiquary

 

Some people try, before cashing in, to make
their lives into shrines. Mine seems to be turning out,
as predicted, a small provincial museum, the kind
that might have in some corner or other one work
you could be interested in, if you knew it was there.
Memorials and keepsakes hang around, half catalogued. Some
curiosa, here and there a whopper – who else
could maintain a scarlet nose drinking
Dr. Pepper? I have my precedents. Lots of men
shuffle off, leaving a ball of tinfoil too large to get
out of the attic or half a century of the New York Times
or some other mess. I keep everything. Old
gods and old ads fade together; both
show better on a neutral wall. Philosophies, old hat,
catch dust on a rack. The trouble is
I'm a glutton. The floor is cluttered,
the shelves go across the windows. I trip
sometimes over ancient arguments or
a lid I can’t place, or claim two different heads
to be Saint Thomas’s. Nothing, nothing will I
surrender. There is little enough as it is.
I may, of course, croak tomorrow, stumbling
from the larder, but I will not set
my house in order.

 

 

Der Antiquar

 

Vor dem Tod versuchen einige, ihr Leben in
einen Schrein zu verwandeln. Meines scheint sich wie vorhergesagt
zu entwickeln, zu einem kleinen Provinzmuseum von jener Sor te,
das in der einen oder anderen Ecke etwas enthält, das dich
interessieren könnte, wenn du wüsstest, es wäre vorhanden.
Denkmäler und Andenken hängen herum, halb katalogisiert. Ein paar
Kuriositäten, hier und da eine dicke Lüge – wer sonst
bekommt schon eine rote Nase von Dr. Pepper?
Ich habe meine Präzedenzfälle. Viele Männer
gehen dahin, zurück bleibt ein Knäuel Alufolie – zu groß,
um jemals wieder vom Dachboden zu verschwinden – oder ein halbes Jahrhundert
der New York Times oder ein anderes Durcheinander. Ich behalte alles. Alte
Götter und alte Werbeanzeigen verblassen gemeinsam; beide
wirken besser auf einer leeren Wand. Weltanschauungen, ein alter Hut,
setzen Staub an auf dem Regal. Das Problem ist,
ich bin ein Vielfraß. Auf dem Fußboden herrscht Unordnung,
die Regale reichen weit über den Raum hinaus. Manchmal stolpere ich
über veraltete Argumente oder einen Deckel,
den ich nicht zuordnen kann, oder ich behaupte,
dem Heiligen Thomas gehörten zwei verschiedene Köpfe. Nichts, nichts werde ich
aufgeben. Weil es zu wenig gibt.
Natürlich könnte es sein, dass ich morgen krepiere,
dass ich aus der Speisekammer stolpere, doch mein Haus
das werde ich nicht aufräumen.

gravitationen 1
Lyrik
Herausgegeben von David Frühauf und Jan Kuhlbrodt
ALS BUCH:
Broschur

Plakatumschlag

Englisch und Deutsch

156 Seiten
Format: 130 x 186 mm
Auslieferung: ab 1. Januar 2018
D: 23,00 Euro A: 25,00 Euro CH: 30,00 CHF

ISBN (Print) 978-3-936826-18-0

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