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Hasenmeister

Belletristik

Tilmann Strasser

Hasenmeister

Ein talentierter junger Geiger schließt sich in der Übezelle ein und will nicht mehr raus, seine Geliebte sucht ihn wütend und verzweifelt. Grandioser Roman zwischen großem Drama und tiefschwarzer Komik.

Verlagstexte

Felix Hasenmeister hat sich eingeschlossen. Der talentierte Violinist verlässt seine Übezelle im Konservatorium nicht mehr. Er ist von seinem Abschlusskonzert geflohen. Die Gründe reichen weit zurück, zu seinen Lehrern, seiner abwesenden Mutter, vor allem einer bedrohlich-grotesken Vaterfigur. Doch Felix wird gesucht: Seine Geliebte Carla durchkämmt die Nacht nach ihm und schickt wütende Kurznachrichten in sein selbst gewähltes Exil. Stückweise wird Hasenmeisters Werdegang vom Geigenschüler zum vielversprechenden Konzertsolisten geschildert, dazu sein ambivalentes Verhältnis zur Musik, zu seinem Instrument und auch zu Carla. Unweigerlich wird der Leser immer stärker in den Bann des Ich-Erzählers gezogen, der zwischen Wirklichkeit und Wahn zu mäandrieren scheint. »Hasenmeister« changiert zwischen großem Drama und tiefschwarzer Komik, ist wortmächtig erzählt und virtuos komponiert.

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© Cover: Verlag, Foto(s): privat

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Textprobe(n)

Meine erste Lehrerin hatte zwei Augen in zwei Farben. Ihr Blick war grün, wenn ich gut spielte, doch meist sah ich in strenges Blau. Sie war Russin. Deutsch beherrschte sie, aber mochte es nicht. Es sei ihr zu weich, klagte sie, zu konturlos, es streiche über die Lippen, man bemerke es kaum. Deshalb wohl redeten die Leute hierzulande viel. Sie selbst sprach wenig. Tat sie es doch, stieß sie rüde die Konsonanten vor sich her und erwürgte alle Vokale in ihrem langen, blassen Hals.

Zum Unterricht empfing mich das Hausmädchen, eine schmale Gestalt in Schürze. Sie nahm meine Jacke und ging mir voran durch den Flur. An der Tür zum Musikzimmer blieb sie stehen. Ich klopfte. Wir warteten still. Dann nickte das Hausmädchen, wies auf die Klinke und verschwand.

Meine Lehrerin lag auf dem Sofa. Sie hob den Kopf, wenn ich eintrat. Ihr Blick, ein noch unentschlossenes Farbgemisch, folgte mir in den Raum. Ich stellte den Koffer zwischen Tisch und Klavier, packte aus zwischen Grün und Blau und unzähligen Notenstapeln. Wie geht?, fragte meine Lehrerin. Geübt? Schweigend stimmte ich die Saiten.

Mein Platz war in der Mitte des Zimmers. Hinter mir stand eine gläserne Vitrine. Es waren Wodkaflaschen darin. In der größten schwamm eine tote Schlange. Manchmal, während der Etüden, spürte ich ihren leblosen Blick. Es kam vor, dass sie sich bei den Tonleitern um meinen Knöchel rankte. Ich ließ mir nichts anmerken, fuhr mit Dreiklängen fort, spielte Terzen, Oktaven, die Schlange zischelte. Zu den Quinten erreichte sie meist meinen Oberschenkel. Ihre Haut war ledern, sie stank nach Schnaps.

Bei der Sonate geriet meine Lehrerin in Bewegung. Sie glitt vom Sofa, Russisches murmelnd. Auf ratternden Wortketten durchquerte sie den Raum. Ihre Glieder umschlangen meine, sie legte mir Finger an die Stirn, strich über Schläfen und Hals und zerrte an meinem Kragen. In den Rücken drückte sie mir und stupste prüfend gegen Schultern und Ellenbogen, versetzte Stand- und Stützbein, strich mir über die Wangen und schlug auf das Gelenk der Bogenhand. Ich wusste nie, wo sie sich befand, hörte nur den russischen Silbenstrom mich umkreisen, spielte und zuckte lediglich, wenn sie mir Haare ausriss.

Für den abschließenden Konzertsatz trat sie zurück. Ich spielte, wie ich zugerichtet war. Das Stück gelang mir selten. Erst nach dem Schlussakkord sah ich auf. Meist waren ihre Augen blau geworden, dann schimpfte sie noch in den Nachhall, lief fluchend, sich selbst bruchstückhaft übersetzend hin und her und notierte, woran ich zu arbeiten hätte. Nur selten war ihr Blick grün. Dann nickte sie, als hätte sie es geahnt, und ließ sich erschöpft aufs Sofa sinken, Moladjez, seufzte sie leise, was, wie sie erklärte, Prachtkerl hieß.

Manchmal begleitete mich Vater zum Unterricht. Vom Hausmädchen war in diesen Stunden nichts zu sehen. Meine Lehrerin öffnete uns. Mich zog sie herein, Vater fauchte sie an, und gelegentlich biss sie in seine zur Begrüßung ausgestreckte Hand.

Ihm wurde ein Stuhl neben der Vitrine zugewiesen. Ich spielte wie gewohnt mein Programm. Meine Lehrerin nahm auf dem Sofa Platz, doch fand sie keine Position, in der sie verharren konnte. Schon während der Etüden sortierte sie ihre Gliedmaßen beständig neu. Bei den Tonleitern begann sie zu murmeln. Ich spielte Dreiklänge, spielte Terzen, Oktaven, meine Lehrerin knurrte und warf Kissen durch den Raum. Mitten in der Sonate sprang sie auf, riss Vater vom Stuhl und schleifte ihn aus dem Zimmer. Die Tür fiel ins Schloss. Ich hatte weiterzuspielen. Den Konzertsatz gab ich allein für die tote Schlange, die unbeeindruckt in ihrer Flasche blieb. Von Zeit zu Zeit stürmte meine Lehrerin herein, kniff mich härter als gewöhnlich, drückte und schob gegen meinen Körper und verdrehte mir den Arm, dass ich vor Schmerz keuchte, dann stürmte sie wieder hinaus.

Am Ende dieser Stunden war sie zufrieden mit mir. Sie sagte Moladjez und fasste mich an den Schultern. Ihre grünen Augen ruhten auf Vaters wirrem Lockenrest. Ich zog meine Jacke an, er gab ihr die Hand, diesmal griff sie danach, und ich sah, dass er fest zudrückte.

Hasenmeister
Roman / Novelle
ALS BUCH:
Hardcover
240 Seiten
Format: 125 x 190 mm
Auslieferung ab 5. März 2015
D: 24,95 Euro A: 24,95 Euro CH: 34,80 CHF

ISBN (Print) 978-3-906195-25-4

ALS EBOOK:
Datenformat(e): epub
Auslieferung ab 5. März 2015
D: 15,99 Euro A: 15,99 Euro CHF: 15,95 CHF
ISBN (eBook) 978-3-906195-26-1

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