Belletristik
Annemarie Weber
Roter Winter
Die 60er Jahre in West-Berlin zwischen Ehe und Apo, linken Demos und schicken Empfängen. Mit dem für sie typischen Witz und einem Stil voller „zarter Zynismen und abgebrühter Sentimentalitäten“ (Erhard Schütz) porträtiert Annemarie Weber in ihrem Roman von 1969 die kontrastierenden Welten der wilden Sechziger.
Andere Titel des Verlags bzw. der Autorin/des Autors
Verlagstexte
Lili Abelssen geb. Lewinsky hat einen Beruf, zwei Söhne, einen eleganten Ehemann und eine Vorliebe für schlecht gekleidete marxistische Liebhaber. Sie lebt im Berliner Westend, verliert sich gerne in verruchte Kneipen und schwelgt mit ihrem Gatten Richard in den mondänen Kreisen der Modewelt. An Demonstrationen beteiligen sich die Abelssens in ausgewählter Kleidung – sie in gelbem Lacklederkostüm, er im blaugrünen Schottenanzug – und laden die linken Revolutionäre zu einer exzessiven Gartenparty ein.
Einen Gegenpol zu den turbulenten Aktivitäten innerhalb der unterschiedlichsten Milieus bilden die Spieleabende im heimischen Wintergarten. Bei genauer Kenntnis der gegenseitigen Schwachpunkte imaginieren Lili und Richard Abelssen dabei künftige Miseren bis hin zu Trennung und Tod, wodurch ihre Beziehung eine besondere Eigendynamik erhält.
"Darin liegt die Riskanz des Romans wie der Beziehungen, die er schildert. Nämlich in der Offenheit, Neugier und Aufgeschlossenheit dem Eigenen wie Anderen gegenüber. Man ist geneigt, für diesen Stil, vor allem für seine geschliffenen Dialoge, paradoxe Formulierungen zu suchen, wie etwa: zarte Zynismen, abgebrühte Sentimentalitäten. Es ist jedenfalls eine mild ironische Distanziertheit, ohne daß diese die Ungewißheiten, Leiden und Ängste überspielte. Im Gegenteil. Gerade so wird die Fragilität, Verletzlichkeit und Gefährdung einer derart selbstbewußten Existenz deutlich, die auf eigene Rechnung und nicht im Namen von etwas oder jemandem geführt wird, die sich zugleich über ihr Bedürfnis nach Illusionen keine Illusionen zu machen versucht.
Die neugierige Offenheit der Abelssens, Lilis zumal, wie auch die des Romans selbst, läßt die damalige Zeit in einer verdichteten Vielfalt für uns wiedererstehen, wie sie kein heutiger, um historische Rekonstruktion bemühter Roman könnte. Das betrifft nicht einmal zuerst die politischen Vorgänge und Diskussionen mit ihren vielfältigen Protagonisten und Positionen, die Atmosphäre der unentwegten Erregtheiten, die derart wiederauflebt, sondern mehr noch die kulturellen Details und Momentaufnahmen, die man von heute aus nicht mehr als widersprüchlich, sondern als eine bemerkenswerte Vielfalt wiedererinnert." (Erhard Schütz im Nachwort zum Roman)
Presse- und Autorenstimmen
Annemarie Weber ist eine genaue Beobachterin sozialer Unterschiede und Klassenmilieus.
(Hedwig Rohde, Tagesspiegel, 17.6.1978
)Annemarie Weber hat mit Westend einen Roman geschaffen, der nicht in Klischees verfällt. Lakonisch und ohne jede Sentimentalität sind sowohl die Protagonistin als auch die Sprache.
(Julia Martin, Virginia, Oktober 2012, über Westend
)So endet – ein Jahr nach Kriegsende – der Roman, den man kaum als Fiktion sich vom Leibe halten kann, so rasend real ist sein Puls.
(Jamal Tuschick über Westend, junge Welt, 4.3.2013
)Textprobe(n)
Zum erstenmal in ihrem Leben gab sie [Lili Abelssen] sich überhaupt ein Gesetz. Die Tafel war aus Stein, aber ihre zehn Gebote hatte sie noch nicht beisammen. Dieses eben gefundene war das erste, vielleicht würde es das einzige bleiben. Es hieß: Mute deinem Mann nicht zu, dich aus einer Kneipe aus der Hand eines anderen Mannes zu lösen. Moses, in einer modernen Ausgabe der Zehn Gebote für Frauen, würde formulieren: Laß dich, so du eines Mannes Weib bist, nicht begehren von einem anderen Manne! Doch kam Frau Abelssen dies allzu einschränkend vor. Ihr schien, es ging mehr um das Bild der Sünde als um die Sünde selbst. Das Wahrnehmen des Bildes schmerzte den leidenden Betrachter mehr als das Faktum Sünde, das sich nicht abbildete im Auge von Zuschauern. Sollte das Gesetz nicht heißen: Setz deinen Mann nicht dem Betrachten deiner sündigen Verstrickung aus? Das einzig richtige Gesetz wäre natürlich: Laß deinen Mann nicht leiden! Willkommener wäre aber doch ein geschmeidigeres Gesetz. Gesetze, die ihren Befolgern jede Lust mißgönnten, führten durch sich selbst zur Übertretung. Zwischen dem Gesetz und dem Sträflichen müßte noch ein Streifen Niemandsland sein, ein Streifen milde zu beurteilender, klug zu verwaltender Lustbarkeit, für welche diejenigen, die sich ihr hingaben, durch nichts als durch eigene Seelenqualen bestraft würden. So formulierte Frau Abelssen ihr erstes Gesetz: Kannst du nicht umhin, deinen Mann leiden zu lassen, so verkürze sein Leiden auf das kleinste mögliche Maß!
-
Roter Winter
Roman / Novelle
-
ALS BUCH:
Hardcover
352 Seiten
Format 120 x 210 mm
Auslieferung ab 10. März 2015
D: 19,90 Euro A: 20,45 Euro CH: 28,80 CHF
ISBN (Print) 978-3-932338-67-0
-
Der Verlag im Netz:
-
Pressekontakt des Verlages:
Britta Jürgs
+ 49 (0)30 39731372
info(at)aviva-verlag.de
-
Vertriebskontakt des Verlages:
Britta Jürgs
+ 49 (0)30 39731372
info(at)aviva-verlag.de
Artikelaktionen