Belletristik
Janosch (Horst Eckert)
Schäbels Frau / Sacharin im Salat
Neuauflage zum Anlass von Janoschs 85. Geburtstag im März: Zwei Romane und zwei ironisch-heitere Betrachtungen der zwischenmenschlichen Beziehungen im Allgemeinen und männlicher Identität im Besonderen.
Andere Titel des Verlags bzw. der Autorin/des Autors
Verlagstexte
Anlässlich des 85. Geburtstages von Janosch erscheinen die beiden Janosch-Klassiker für Erwachsene in einem Band als Neuauflage.
In "Schäbels Frau" erzählt Janosch eine burleske Dreiecksgeschichte, in deren Zentrum Schäbel, seine Frau Gesine und ihr Geliebter Rudi stehen.
Die hintersinnige Komödie entlarvt die Abgründe der Ehe ebenso, wie sie die große Liebe als Sehnsuchtsort identifiziert. Ein heiterer Roman über die vielen Facetten der männlichen Identität ...
In "Sacharin im Salat" heißt Janoschs Held Alex Borowski. Alex geht es vor allem um eins: Er sucht jemanden, mit dem er über seine Probleme reden kann. Doch alle Menschen, stellt er fest, reden immer nur von sich selbst. Und so muss er sich ständig Geschichten anhören: über Frauen, über gescheiterte Liebesgeschichten, über Sozialismus, über das Leben und über Magengeschwüre. Auch in diesem Roman wirft Janosch einen ironisch-heiteren Blick auf zwischenmenschliche Beziehungen ...
Textprobe(n)
Schäbels Frau
Was heutzutage kaum noch passiert: dass jemand die Notbremse zieht. Man weiß kaum noch, wo sie sich befindet; die Eisenbahnwagen haben sich so verändert, dass sich niemand mehr die Mühe machen würde, sie zu suchen.
Auch die Angewohnheiten sind anders geworden. Man macht heutzutage ganz anderen Unfug. Was früher Fahrschüler zwischen dreizehn und siebzehn begeisterte, dauernd auf der Suche nach den Grenzen des Machbaren oder der Existenz – was auch immer sie darunter verstanden haben mögen –, ist heut’ ein alter Hut.
Meist passierte so ein grober Unfug stets auf der gleichen Strecke, denn es war jedes Mal der gleiche Täter. Der sie zog, wenn niemand im Abteil war, ausgenommen vielleicht die Kameraden, vor denen er sich aufspielen wollte. Oder es war eine ganze Bande. Kamen aus der Schule, fuhren von einem Bahnhof zum anderen, einer musste unterwegs aussteigen, wollte sich den Weg abkürzen – Notbremse. Wobei dann darauf zu achten war, auf welcher Seite der Schaffner aus dem Zug sprang. Und dann musst du auf der anderen Seite raus und ab über die Felder.
Macht heute wie gesagt kaum noch einer.
Die es damals machten, kommen heut’ vielleicht bei einem Klassentreffen zusammen und schwärmen: "Mann, was waren wir bloß für Gurken."
Oder sie sagen: "Arschlöcher. Ganz schöne Arschlöcher waren wir doch, oder nicht?"
Heute dagegen weiß kaum einer mehr, wo die Notbremse ist, und erst recht keiner zieht sie noch.
Und dann plötzlich ... geschah es doch!!
Und zwar im Zug von Salzburg nach Amsterdam, Abfahrt in Salzburg neun Uhr zweiunddreißig, Ankunft, Amsterdam sechs Uhr neun, am nächsten Tag also. Draußen regnete es, dass ein Fisch ersaufen konnte, denn es regnete seit Wochen. Selbst das Geräusch der Eisenbahnschwellen, sonst regelmäßig so penetrant, dass es den Fahrgast die ganze Nacht im Schlaf verfolgt mit seinem takata takata takata, selbst dieses Geräusch war heute weicher. Eher ziehend, man meinte das Rauschen der Räder durch das Wasser zu hören.
Da kreischten die Räder des Zuges – dann pfiffen sie, und dann stand der Zug.
Keiner hätte das Geräusch beschreiben können, denn wer nicht schlief, grummelte vor sich hin, sechs Wochen Regen machen einen weder wach noch lustig.
Die meisten erkannten den gewaltsamen Aufenthalt ohnehin nicht als ein unvorhergesehenes Ereignis oder verbotswidrige Unterbrechung.
Krrrrriiirschh... – was heißt das schon!
In der Gegend um Ulm, weiß nicht wo, keiner hätte genau sagen können, wo genau er hielt. Nicht einmal der Zugbegleitschaffner.
Abfahren, ankommen, mehr ist bei so einem verfluchten Hundewetter nicht von Bedeutung. Fahren und nichts wahrnehmen.
Der Zug stand also. Der Schaffner mag im ersten Moment in seinem Kopf nach möglichen Gründen für die plötzliche Bremsung gesucht haben, aber er fand nichts. Ein Signal auf diesem Fahrtabschnitt war ihm nicht bekannt, dabei fuhr er die Strecke dreimal in der Woche.
Dann schreckte er auf: "Die Notbremse!!"
DIE NOTBREMSE?
Er sprang aus dem Waggon; er befand sich vorn im Zug. Erst nur unwillig, doch dann voller Wut, denn er war sofort durchnässt wie ein Hund in der Traufe. Hatte seine Fahrscheinmappe aus Gewohnheit unter dem Arm, sprang zurück zur Tür, warf sie in den Wagen.
Der Schaffner war verstört. So lange er im Dienst der Eisenbahn war, hatte noch nie jemand die Notbremse gezogen.
Er musste den Grund suchen, sagte die Dienstvorschrift.
Natürlich. Klar.
Es konnte sich um einen Notfall handeln. Oder um ein Verbrechen – davor graute es ihn, wenn er nur daran dachte; am Ende musste er einen Bewaffneten stellen, ihn gar festnehmen ...
Das alles schoss ihm durch den Kopf; auch ihn hatte das Regenwetter der letzten sechs Wochen nicht gerade zum fröhlichen Schnelldenker gemacht.
Da sprang im letzten Wagen einer aus der Tür und entfernte sich. Nicht besonders schnell, eher gelassen, schaute sich nicht einmal um, so wie einer an einer Station, wo er immer aussteigt. Der Schaffner meinte, ihn hüpfen zu sehen, wie einen Hasen etwa, und er war bekleidet mit einem Parka, den er oben mit einer Hand zusammenhielt. Die andere hatte er tief in der Tasche vergraben, als müsse er sie vor Regen schützen.
Gepäck hatte er keines. Nicht einmal eine Tasche.
"Gammler verfluchter! Solche wie dich sollte man in ein Lager stecken und ..."
Der Zugbegleitschaffner hatte schnell kapiert, dass hier nur einer unterwegs aussteigen wollte, weil es ihm gerade so passte, und er kletterte zurück in den Waggon. Fluchte dort weiter. Seine Uniform war durch und durch nass bis auf das Futter, und er ging in sein Dienstabteil zurück und zog eine andere Jacke an. Die Hose war nicht ganz so nass, das ging noch, und er hätte sowieso keine Ersatzhose dabeigehabt.
Sie waren zu zweit. Zwei Zugbegleitschaffner.
Heinz Madloch, Jahrgang vierzig, und sein jüngerer Kollege für die andere Hälfte des Zuges.
Der Jüngere war besonnener, was er leicht sein konnte, denn er war ja nicht nass. Er war es, der dem Zugführer das Zeichen zum Weiterfahren gab.
Eigentlich wären sie nach den Vorschriften verpflichtet gewesen, den Täter zu stellen.
Aber was sollten sie machen, wenn der Kerl bei diesem Sauwetter über die Felder hüpfte wie ein Hase?
Hinterherhüpfen und den Zug warten lassen, im Morast stecken bleiben und dann dreckig zurückkommen wie ein Wildschwein, ohne ihn geschnappt zu haben?
Und selbst wenn sie ihn geschnappt hätten, dann hätten sie bei der Polizei lange Formulare ausfüllen müssen, und der Polizist würde mit einem Finger tippen und das alles vielleicht außerhalb der Dienstzeit, also in der Freizeit der Schaffner. Oder der Lümmel setzte sich zur Wehr und haute einem eins in die Fresse und spränge dann weiter, und selbst wenn man das alles auf sich nähme und es dann hinter sich hätte, was geschähe mit dem Lümmel? Er würde freigelassen werden, weil er einen festen Wohnsitz hat, und seelenruhig auf sein Verfahren warten. Und würde dann, wenn es überhaupt zu so einem 'Verfahren' käme, bloß eine kleine Verwarnung erhalten.
"Geh mir doch weg."
Das sagte sich Madloch. Als Dienstälterer hatte er die Verantwortung für den Zug.
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Schäbels Frau / Sacharin im Salat
Roman / Novelle
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ALS BUCH:
Hardcover
330 Seitenfadengeheftet
Seitenformat: k. A.
Auslieferung: ab 7. März 2016
D: 22,00 Euro A: 22,00 Euro CH: k. A.
ISBN (Print) 978-3-87536-319-7
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