Belletristik
Amy Hempel
Was uns treibt
Aus dem Amerikanischen von Stefan Mesch
Nach dem großen Erfolg von »Die Ernte« erscheint nun mit »Was uns treibt« ein neuer Band mit Storys der neben Alice Munro und Lydia Davis wohl meist verehrten Erzählerin englischer Sprache. 15 atemlose, heimtückische Short Stories, die deutlich machen, weshalb Hempel vielen als markanteste Erzählerin seit Raymond Carver gilt – und was sie zum Idol und besten Feindin der Generation X gemacht hat.
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Verlagstexte
Nach dem großen Erfolg von "Die Ernte" erscheint nun mit "Was uns treibt" ein neuer Band mit Storys der neben Alice Munro und Lydia Davis wohl meist verehrten Erzählerin englischer Sprache. "Du lernst, allen Ballast zu streichen. Stellst dir bei jedem Satz vor, wie deine Leser nur nach dem ersten Grund suchen, dich wieder fortzulegen. Der Trick?", sagt Amy Hempel über ihre Zeit als Journalistin: "Ihnen keine Gründe zum Aufgeben zu lassen!" 15 atemlose, heimtückische Short Stories, die deutlich machen, weshalb Hempel vielen als markanteste Erzählerin seit Raymond Carver gilt – und was sie zum Idol und besten Feindin der Generation X gemacht hat: "Was uns treibt" (Reasons to Live) war ihr Debütband und ist in den USA eine seit 30 Jahren geliebte, tiefschwarz schraffierte CD auf dem Armaturenbrett eines Kleinwagens, den man verscherbeln, aufgeben, schrotten will. Ein Freudenfeuer. Eine warme Decke, den Kindern gestohlen. 15 liebevolle Tritte in den Magen.
Presse- und Autorenstimmen
Amy Hempel ist eine Zauberin.
(Matthias Matussek, Der Spiegel
)Amy Hempels Short Stories sind Kondensate, eine Art Kernschmelze des emotionalen Überbaus. Durch diese Beschränkung kommt die Grausamkeit des Lebens besonders klar zum Vorschein. Amy Hempel ist eine wirkliche Entdeckung.
(Verena Auffermann, Deutschlandfunk
)Amy Hempel ist – nicht zuletzt – eine große Humoristin. Ihr Witz trifft zwar gelegentlich direkt ins Herz, andernorts aber blitzt pure Lebenslust.
(Angela Schader, NZZ
)Video
Textprobe(n)
"Erzähl mir Dinge, die ich danach ohne Reue wieder vergessen kann", sagte sie. "Nimm nutzlosen Kram. Überspring den Rest."
Ich fing an – sagte ihr, Insekten flögen Zickzack durch den Regen. Sie wichen jedem Tropfen aus und würden nicht nass. Ich sagte ihr, niemand in ganz Amerika besaß ein eigenes Tonbandgerät – vor Bing Crosby. Ich sagte ihr, der Mond hätte die Form einer Banane. Immer, wenn er rund und voll scheint, sehen wir auf eins der Enden, frontal.
Die Kamera machte mich verlegen und ich stoppte. Sie hatte uns aus einem Deckenstativ im Blick. Die Sorte Kamera, mit denen Banken Bankräuber filmen. Wir wurden zu den Intensivschwestern ans andere Ende des Flurs übertragen.
"Los Mädchen", sagte sie. "Daran gewöhnst du dich."
Ich hatte Publikum – also fuhr ich fort. Wusste sie, dass Tammy Wynette neue Töne anschlug? Jetzt/mittlerweile singt sie "Stand by Your Friends". Paul Anka macht das auch. "You‘re Having Our Baby". Ich sagte, er hätte das feministische Genörgel satt.
"Was noch?", fragte sie. "Hast du noch was?"
Und wie.
Für sie würde mit immer noch mehr einfallen!
"Als sie der ersten Schimpansin beibrachten, zu sprechen wurden sie sofort angelogen. Wusstest Du das? Sie fragten, wer das Geschäft auf dem Schreibtisch hinterlassen hatte und bekamen den Namen des Hausmeisters zu hören, in Zeichensprache. Unter Druck änderte sie die Aussage und entschuldigte sich, es sei der Projektleiter gewesen. Aber sie war Mutter. Sie hatte wohl ihre Gründe."
"Oh, das ist gut", sagte sie. "Eine Parabel."
"Es gibt noch mehr zu der Schimpansin. Aber das bricht dir das Herz."
"Danke nein", sagt sie und kratzt an ihrer Maske.
Wir sehen aus wie die Guten, als Böse maskiert. Egal aber ob gut oder böse – ich kann mich nicht daran gewöhnen. Dauernd taste ich die warme Stelle ab, durch die – Gott sei dank! – mein Atem austritt. Sie selbst ist ihre Maske gewohnt, verknotet nur die beiden oberen Bänder. Die anderen beiden lässt sie, ein Profi mittlerweile, frei hängen.
Wir nennen diesen Ort das "Chefarzt Dr. Welby"-Krankenhaus. Das weiße mit den Palmen, und drüber immer die Namen der Stars in allen Serien-Intros. Ein Hollywood-Krankenhaus, das aber tatsächlich mehrere Meilen westlich liegt. Außerhalb des Bildausschnitts, gegenüber der Straße, beginnt ein Strand.
Ich werde der Krankenschwester als "Die Beste Freundin" vorgestellt. Die Worte, der bestimmte Artikel, deuten eine Vertrautheit an. Nicht zwischen uns – sondern zwischen der Schwester und meiner Freundin.
"Ich habe ihr erzählt, dass wir früher Ginger Ale von Canada Dry tranken und dabei taten, als wären wir in Kanada."
"So dumm waren wir", sagte ich.
"Ihr könntet Schwestern sein", sagt die Schwester.
Wie aber kommt es dann, fragen alle hier sich garantiert, dass ich so lange brauchte, um zu kommen, an einen so glamourösen Ort? Aber fragen sie?
Sie fragen nicht.
Zwei Monate. Und wie lange dauert schon die Fahrt?
Ich kann es nur so erklären: Ich habe einen Freund, der einen Sommer lang in einer Leichenhalle jobbte. Er brachte Geschichten mit. Die, die mich wirklich fesselte, war nicht einmal die grausigste. Und trotzdem hat sie mich gekriegt. Ein Mann fuhr sein Auto zu Schrott, am Highway 101. Er blieb noch bei Bewusstsein. Aber sein Arm war bis zum Knochen aufgerissen. Und als er ihn ansah ... erschrak er zu Tode.
Also: Er starb.
Ich wagte nicht, genauer hinzusehen. Erst jetzt.
Ich hoffe, dass ich es überlebe.
Sie schiebt eine leichte Decke beiseite und gibt den Blick auf ein Bein frei, das wirklich niemand sehen möchte. Abgesehen davon aber wirfst du einen Blick auf sie und dir wird völlig klar, warum gesetzlich vorgeschrieben ist, dass jeder Leichnam stets von zwei Personen begleitet werden muss.
"Ich dachte da an was", sagt sie. "Ich dachte letzte Nacht daran. Ich glaube, hier gibt es einen echten und richtigen Bedarf. Weißt du", sagt sie, "zum Beispiel, dass ein Profi kommt und was für dich ... zu Ende bringt, wenn du es selbst nicht mehr so kannst? Also du rufst an, wann du nur willst. Sobald es nötig wird."
Sie krallt das Telefon neben dem Bett und wickelt sich das Kabel um den Hals.
"Hey", sagt sie, "hier ist Sense. Endstation."
Sie macht weiter, ist wegen irgendwas in Kicherlaune. Aber ich weiß nicht, warum.
"Mir fällt das nicht mehr ein", sagt sie. "Was sagt Kübler-Ross? Was ist die nächste Stufe nach Leugnen?"
Mir scheint, danach kommt Wut. Dann Aushandeln, Depression und so weiter. Aber das behalte ich für mich.
"Die Sache ist nur", sagt sie, "wo bleibt die 'Auferstehung'? Gott weiß, ich mache das gerne Punkt für Punkt, aber die hat 'Auferstehung' einfach weggelassen!"
Sie lacht und ich halte mich an diesem Lachen fest wie jemand, der über einem Abgrund hängt und sich hastig an ein zugeworfenes Seil klammert.
"Jetzt sag", sagt sie, "erzähl mir von dieser Schimpansin und ihren sprechenden Händen. Was machen sie, sobald ihr Forschungs-Dings vorbei ist und sie sagt 'Ich will nicht zurück in den Zoo'?"
Als ich nichts sage, sagt sie "Gut – aber dann erzähl mir eine andere Tiergeschichte. Ich mag Tiergeschichten. Aber keine gestörte: Nichts über die ganzen Blindenhunde, die blind werden."
Nein, für sie keine gestörte Geschichte.
"Was ist mit den Gehörlosenhunden?", sage ich. "Die werden nicht taub, aber immer nörgeliger. Zum Beispiel gibt's da diesen Golden Retriever in New Jersey, der eine gehörlose Mutter weckt und sie ins Zimmer ihrer Tochter bugsiert, weil das Mädchen heimlich liest, mit einer Taschenlampe unter der Decke."
"Zum Totlachen", sagt sie. "Wegen dir lache ich jetzt, bis ich sterbe."
"Man sagt, schlaue Hunde gehorchen. Aber schlauere Hunde wissen, wann sie nicht gehorchen sollten."
"Ja", sagt sie. "Jedes schlauere Irgendwas weiß, wann es verweigern muss. Zum Beispiel jetzt."
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Was uns treibt
Erzählung(en)
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ALS BUCH:
Broschur
110 Seiten
Format
Auslieferung ab März 2015
D: 14,80 Euro A: 15,30 Euro CH: 21,90 Euro (UVP)
ISBN (Print) 978-3-945550-06-9
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ALS EBOOK:
Datenformat(e): epub
Auslieferung ab März 2015
D: 9,99 Euro A: 9,99 Euro CH: … CHF
ISBN (eBook) 978-3-945550-13-7
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Der Verlag im Netz:
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Pressekontakt des Verlages:
Annette Kühn
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