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Zigeuner

Belletristik

Isabella Huser

Zigeuner

In ihrem zweiten Roman "Zigeuner" erzählt Isabella Huser die Geschichte jenischer Leute in der Schweiz. Grundlage des Roman-Geschehens ist die Geschichte ihrer eigenen väterlichen Familie, die sie bis tief ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt.

Verlagstexte

"Es gibt das Bild der Schweiz vor und ein neues nach der Lektüre dieses Romans."
Sie sind Einheimische, im Übrigen hellhäutig und blauäugig. Eine Schweizer Musikantenfamilie, Jenische. Wo auch immer sie auftreten, sind der 13-Jährige an der Klarinette und die Mutter am Kontrabass die Stars des Abends. Sie spielen Volksmusik, leben im Häuschen am Ort über dem Zürichsee, wo die Kinder zur Schule gehen. Bis sie fliehen müssen: Die Mutter kommt angerannt mit fliegendem Haar, schickt ihre Kinder auf die Flucht, allein. Sie und der Vater werden die Beamten aufhalten an diesem Frühlingsabend 1929.
Die Kinder flohen allein in die Nacht. Sie retteten sich vor dem Zugriff der Verfolger, die Hunderte jenischer Kinder aus ihren Familien rissen. So geschehen in der Schweiz, wo die Kindswegnahmen bis zum Frühling 1972 andauerten – bis die Tochter eines der fliehenden Kinder von 1929, mittlerweile selbst 13 Jahre alt, aus der Zeitung erfuhr, dass die Erzählung ihres Vaters von der Flucht der Kinder keine Räubergeschichte war.
Isabella Huser hat Schicksale ihrer jenischen Vaterfamilie recherchiert und ist dabei auf Materialien gestoßen, die bis zur Entstehung der modernen Schweiz im 19. Jahrhundert zurückreichen. Zigeuner ist ein fulminantes zeitgeschichtliches Tableau, gefüllt mit prallem Leben und nacktem Entsetzen.

Downloads

© Cover: Verlag, Foto(s): Daniela Huser

Presse- und Autorenstimmen

Über ihren ersten Roman Das Benefizium des Ettore Camelli:
Aufregend, abgründig. Mit grosser Poesie und unerschöpflicher Einbildungskraft zeichnet Isabella Huser in ihrem hinreissenden wie aufregenden Débutroman «Das Benefizium des Ettore Camelli» die lange Geschichte einer Familie im Trentino nach. Geistige Enge, mutige Ausbrüche ins Offene der Phantasie, Mord und Liebe: Allmählich fügen sich die Motive zu einem immer dichter gewobenen Bild und bereiten ein seltenes, berauschendes Leseabenteuer.

(

Roman Bucheli, NZZ

)

Über ihren ersten Roman Das Benefizium des Ettore Camelli:
Wenn die Jury des Deutschen Buchpreises nicht nur die üblichen Verlage beäugen würde, hätte sie hier eine würdige Kandidatin gefunden: Husers grandioses Familienmosaik aus dem Trentino ist aller Ehren wert. Gut recherchiert und unwiderstehlich geschrieben.

(

Prisma, NRW

)

Textprobe(n)

Der Mann war vom Bauernhaus auf sie zu gerannt. Anna hatte jenes Haus zuvor nie beachtet. Sie hat es einfach nicht gesehen. Die Ställe ja, auch die Scheune und den Miststock, das Schweinegatter sowieso, aber nicht das Wohnhaus. Dabei grenzte der Hof direkt an den Obsthain, lag exakt dort, wo der Weg unvermittelt in eine steile Kurve floh, als wäre das Gehöft aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht.

Theres und sie waren über die große Wiese gelaufen, die uneben war wie im Wald, dicht bewachsen mit hohen Gräsern und Blumen. Sie waren in den Hain vorgestoßen, wo sie in großem Bogen um die knorrigen Apfelbäume kreisten, die braunen Äpfelchen meidend, die am Boden verfaulten und schwarze Insektenwolken ausstießen, wenn man ihnen nahe kam. Beide trugen sie weiße Kniestrümpfe unter den Regenjacken, die Beine nackt, obwohl das Schwimmbad oben am Hügel längst geschlossen war, der Sommer vergangen. Die Wiese war nass, doch das machte nichts, die hohen Gräser strichen wie Federn über die Haut. Amseln flogen auf, eine Katze trottete davon. Bald bogen sie zu den andern Kindern auf den Fußweg ab, lungerten im Rudel vor der eingeworfenen Scheibe der Bauhütte, die nochvom Bauplatz für die neuen Wohnblöcke stammte, flogen im Schwarm den Weg hoch zum Schulhaus – um dann doch in einer kleinen Gruppe auszuscheren, das Gatter im Sinn. Sie waren über die schlammigen Pfützen hinweg auf den Lattenzaun gestiegen. Die Ferkel waren weg. Die ausgewachsenen Schweine, die zurückblieben, waren massig, die Haut gräulich und wie geschoren, mit einzelnen starren Borstenhaaren. Die Tiere stießen und schoben sich vom Fresstrog weg, wühlten grunzend mit ihren dicken Nasen wie Ärschen in den breiigen Essensresten zwischen den Beinen der Mitschweine. Es stank.

Vom Schwarm war nur ein Häufchen Kinder übrig geblieben, alle aus Annas Klasse, die jeden Tag zur selben Zeit denselben Weg nahmen, und je nachdem, wie früh oder spät jedes einzelne zuhause aufgebrochen war, in immer neuen Konstellationen aufeinandertrafen. Es nieselte, und wer eine Kapuze hatte, zog sie sich über den Kopf. Anna und Theres berieten über die Zitzen der Schweinemutter, die dem Tier schlaff vom Körper hingen. Sie merkten nicht, dass die anderen fort waren. Nur sie beide hingen geschützt von ihren Regenjacken am Gatter, als der Mann im fleckig dunklen Overall, der Bauer, vom Haus her, Schaufel in der Hand, auf sie zugelaufen kam. Er schnaufte. Theres rutschte in der Pfütze aus, rote Flecken im Gesicht, Schmutz im blonden Haar, sie raffte sich auf und rannte. Ihr stinkt!, schrie der Mann. Anna, noch immer am Gatter, starrte ihn an. Hältst dir die Nase zu, du!

Tschingg, verfluchter, hier, bei uns!, schrie der Bauer. Er spie Speichelfäden. Sie schlüpfte an der Schaufel vorbei. Er keuchte. Noch als sie schon auf der Straße war, keuchte er in ihrem Rücken.

Verschwinde dahin, wo du herkommst, rief der Mann ihr hinterher.

Zigeuner
Roman / Novelle
ALS BUCH:
Hardcover

mit Lesebändchen

256 Seiten
Format: k. A.
Auslieferung: ab 1. April 2021
D: 26,00 Euro A: k. A. CH: 34,00 CHF

ISBN (Print) 978-3-03762-093-9

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